Wie erfolgreiches Direktmarketing die Zukunft im Fundraising blockiert

Ohne Frage: Fundraising ist durch das Direktmarketing in Deutschland – aber auch in anderen Ländern – eine Erfolgsgeschichte geworden. Denn Direktmarketing war eine unglaubliche Innovation in Marketing und Vertrieb: Es war zum ersten Mal möglich, mit einem Brief eine Reaktion auszulösen, sodass Menschen in großer Zahl zu Spender*innen wurden. Hinzu kam: Die Reaktionen ließen sich messen und konnten durch Tests verfeinert und optimiert werden. Allerdings ist es nicht gelungen, sie vorherzusagen. Dafür sind menschliche Entscheidungen dann doch zu komplex.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass fast alle Organisationen Direktmarketing eingesetzt und entsprechende Infrastrukturen aufgebaut haben. Und in den Ausbildungsgängen wurde gelehrt, wie Medien im Direktmarketing aufgebaut werden und was beim Versand alles zu beachten ist. Ein großer Teil der Professionalisierung bestand darin, das Instrumentarium des Direktmarketings zu verfeinern und auf andere Kommunikationskanäle (Telefon, Straßenwerbung) zu übertragen.

Zwei Voraussetzungen

Damit Direktmarketing erfolgreich ist, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Es müssen Menschen angesprochen werden, die auf diese Form der Ansprache auch reagieren, und deren Postadressen müssen vorhanden bzw. nutzbar sein. Es hat sich nämlich in den letzten 20 Jahren herausgestellt, dass Postkäufer eine gute Zielgruppe sind, die auch auf Spendenmailings reagiert.

Die zweite Bedingung ist, dass emotionale Impulse genutzt werden können, die eine unmittelbare Reaktion auslösen. Auch dies ist im Fundraising gegeben: Durch die Nutzung von Opfer-Narrativen kann – vermittelt über eine starke soziale Norm der Solidarität mit Menschen (und Tieren), die unverschuldet in akute Not geraten sind – Empathie ausgelöst werden, die zur Spende führt. Dieser psycho-soziale Mechanismus ist eine der Grundlagen für das Funktionieren von Gemeinschaften.

Veränderungen in der Gesellschaft

Allerdings haben sich die Gesellschaft und das Fundraising in den letzten 20 Jahren weiterentwickelt. Am auffälligsten sind Veränderungen in der Nutzung von Kommunikationsmedien. So hat sich die digitale Kommunikation flächendeckend durchgesetzt. Allerdings hat sich schon vor 20 Jahren gezeigt, dass sich die Logiken des Direktmarketings kaum auf digitale Kommunikation übertragen lassen. So reagieren Menschen zwar im Direktmarketing auf Opfer-Narrative, aber in den digitalen Medien sind dieselben Inhalte für sie nicht relevant und auch nicht wirklich erwünscht. Während die Empfänger*innen sich bei analoger Kommunikation kaum den Aufforderungen entziehen können, gelingt ihnen dies im digitalen Raum relativ einfach: Absender können blockiert, E-Mails sofort gelöscht und die Wahrnehmung von Bannern ausgeblendet werden. Dies gelingt umso einfacher, da die Nutzungslogik der verschiedenen Medien unterschiedlich ist.

Verbunden mit der Nutzung digitaler Kanäle hat sich Werbung insgesamt verändert: Worauf Seth Godin schon von über 20 Jahren hingewiesen hat, ist der Unterschied zwischen Push und Pull: Traditionelle analoge Werbung ist „Push“ getrieben und arbeitet mit der Unterbrechung von Handlungsabläufen: Die Idee ist, durch Impulse Aufmerksamkeit zu erzwingen, die genutzt werden kann, um die eigene Botschaft ins Hirn der Rezipienten zu setzen. Godin beobachtete, dass dies im digitalen Raum nicht mehr gelingt. Dort holen sich Menschen die Informationen, die für sie relevant sind und entscheiden dann. Daher muss Werbung auf „Pull“ umstellen. Damit waren das Content-Marketing und die Donor Journey geboren, die nicht mehr auf Impuls und Reaktion, sondern auf einen längeren Prozess des Beziehungsaufbaus setzen.

Neue Generationen

Hinzu kommen Veränderungen der Generationen. In den hohen Zeiten des Direktmarketings im Fundraising wurden Menschen erreicht, die noch eigene biografische Erfahrungen mit Krieg, Verfolgung, Vertreibung und Zerstörung haben. Aufgrund dieser durchaus traumatischen Erfahrungen reagieren sie eher auf die Opfer-Narrative, da sie wissen, wie es Menschen in Situationen geht, in denen sie sich selbst nicht helfen können. Entsprechend größer ist ihre Bereitschaft, auf entsprechende emotionale Impulse zu reagieren, als die der nachfolgenden Generationen, die solche Erfahrungen nicht gemacht haben. Mittlerweile ist diese Generation deutlich über 80 Jahre alt und heute immer noch diejenige, die am meisten spendet.

Zum Generationswandel gehört auch die Abnahme religiöser Bindungen, die ein wesentlicher Faktor des Spendens sind. So gibt es in allen großen Religionen das Gebot zu spenden, um Menschen in Not zu helfen und die gesellschaftlichen Strukturen zu sichern. Entsprechend gehört das Spenden zum Selbstverständnis und zur Identität von Menschen mit religiösen Bindungen. Nehmen also religiöse Bindungen ab, wird auch die Zahl der Menschen kleiner, die aufgrund ihres Selbstverständnisses spenden.

Problem Direktmarketing

Schließlich wird der Erfolg des Direktmarketings selbst zu einem Problem im Fundraising, worauf Nicholas Ellinger hingewiesen hat: Er führt aus, dass Menschen, die spenden, ein positives Selbstbild von sich haben – und stellt die Frage, was passiert, wenn diese Menschen 150 Spendenbriefe mit emotionalen Impulsen erhalten, die auf dringend zu lösende Probleme hinweisen. Wenn nicht alle Briefe positiv mit einer Spende beantwortet werden können – auf 150 Briefe werden vielleicht 10 Spenden kommen – tangiert jede Nicht-Spende das eigene Selbstbild. Da Menschen bemüht sind, ein konsistentes Selbstbild aufrechtzuerhalten, reagieren sie auf diesen Widerspruch. Sie brechen das Spenden ab oder ritualisieren ihr Spenden – nur noch ausgewählte Organisationen werden bedacht, alle anderen Briefe werden ungelesen vernichtet.

Umbrüche im Fundraising

In der Umbruchsituation, in der wir momentan leben, entsteht so eine problematische Gemengelage: Auf der einen Seite steht das traditionell erfolgreiche Direktmarketing mit seinen spezifischen Anforderungen an Kommunikation, technische Infrastruktur und Qualifikationen sowie eigenen Glaubenssätzen. Auf der anderen Seite schwindet durch den eigenen Erfolg sowie durch Veränderungen in der Gesellschaft zusehends die Wirkung des Direktmarketings.

Den Wechsel von der einen in eine andere Logik zu managen, ist eine Herausforderung, die nicht einfach zu bewältigen ist. Einerseits existiert eine technische, ökonomische und qualifikatorische Infrastruktur, in die Investitionen geflossen sind und die eine Beharrungstendenz aufweist. Und noch gibt es Spender*innen, die auf Direktmarketing reagieren und die erheblich zur Finanzierung von Projekten und Programmen der Organisationen beitragen. Verändert man die Kommunikation, besteht die realistische Gefahr, dass ein großer Teil dieser Menschen nicht mehr spendet und verloren geht. Auf der anderen Seite verändern sich die Zielgruppen und damit verringert sich mittelfristig der Erfolg des traditionellen Fundraisings. Wer nicht trotz aller Schwierigkeiten beginnt, das Fundraising neu zu denken, könnte in näherer Zukunft im Aus stehen.

 

Eine nachhaltig finanzierte Zivilgesellschaft, die die Welt ein Stück besser macht und ohne Ausbeutung und Selbstausbeutung auskommt, ist die Mission von Dr. Kai Fischer. Deshalb beschäftigt er sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Aufbau langfristiger Beziehungen zu Förder/innen und bietet hierfür Strategie-Beratungen, Inhouse-Workshops und Seminare an.

 

Dr. Kai Fischer

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