Sind Fundraiser Betrüger?
Folgt man einer aktuellen Anklage der Staatsanwaltschaft, kann man diesen Eindruck gewinnen. Wenn Spenden für ein Projekt gesammelt und damit der Aufbau des Fundraisings finanziert wird, qualifiziert dies eine Staatsanwaltschaft als Betrug am Spender. Worauf müssen sich Fundraiser und Vorstände einstellen?
Zweckentfremdung der Mittel
Nach mehr als einjähriger Ermittlung hat die Staatsanwaltschaft in Hannover jetzt Anklage wegen Betrugs gegen die Vorsitzende eines Vereins, den Verantwortlichen einer Direktmarketing-Agentur sowie einen Rechtsanwalt, der die Geschäfte des Vereins führte, erhoben. Der Vorwurf: Der allergrößte Teil der Spendeneinnahmen, die über Mailings eingeworben wurden, ging an die Marketing-Agentur und kam nicht dem beworbenen Zweck zugute. Dies wurde jedoch den Spendern verschwiegen. Sie gingen davon aus, dass ihre Spenden direkt dem Zweck zugeführt wurden, für den geworben wurde.
Unabhängig vom Einzelfall und der Frage, wer schuldig ist und ob die Anklage in diesem konkreten Fall berechtigt ist, wirft das Vorgehen der Staatsanwaltschaft eine Reihe von Fragen auf, die sich Fundraiser und Fundraiserinnen – vor allen Dingen aber auch Vorstände – stellen müssen.
Kostentransparenz
Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft ist ein klarer Hinweis auf fehlende Transparenz im Fundraising. In der Kommunikation mit Förderern werden wir deutlicher sagen müssen, wofür die Mittel, die gespendet werden, eingesetzt werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass in Zukunft jeder Spendenbrief oder jede andere Form der Förderer-Kommunikation den Hinweis enthält: „25 % Ihrer Spende verwenden wir für Verwaltung und Kommunikation.“
Durchschnitt oder Kosten pro Aktion?
Hierauf werden wir uns wahrscheinlich schnell verständigen können. Aber ist dies gegenüber dem Förderer auch ehrlich? Methoden und Formen des Fundraisings sind unterschiedlich teuer und führen zu unterschiedlich hohen Einnahmen. Gerade der Aufbau eines Förderer-Stamms bzw. die Gewinnung von Neuspendern gehören zu den teuersten Maßnahmen überhaupt. Wäre es da nicht ehrlicher, die tatsächlichen Kosten der einzelnen Maßnahme auszuweisen? Dann wüssten die Förderer gleich: Spende ich auf ein Kalt-Mailing, geht deutlich weniger an das Projekt als bei Organisationen, mit denen ich schon eine lange Förderer-Beziehung habe. Eine solche Ehrlichkeit könnte den wünschenswerten Nebeneffekt haben, dass die Organisationen der Förderer-Bindung in Zukunft mehr Bedeutung beimessen.
Welche Bezugsgröße wird gewählt?
Prozentsätze sind relativ; sie zeigen eine Beziehung zur Bezugsgröße. Als Bezugsgröße lassen sich aber zwei unterschiedliche Werte wählen: Die Gesamteinnahmen einer Organisation oder nur die Einnahmen, die durch Fundraising erzielt wurden. Hat eine Organisation größere Einnahmen außerhalb des Fundraisings, beispielsweise durch öffentliche Zuwendungen oder Zweckbetriebe, können mit der ersten Variante die Fundraisingkosten kleingerechnet werden. Leben Organisationen hingegen ausschließlich von Spenden, kommt nur die zweite Variante in Betracht. Die Folge: Bei Fundraisingkosten werden Äpfel mit Birnen verglichen, reine Fundraisingorganisationen haben dann immer höhere Kosten. Sich hier auf einheitliche Bezugsgrößen zu verständigen, ist dringend geboten.
Was gehört zu den Einnahmen?
Kennen Sie die beliebte Aussage: „Bei uns gehen alle Spenden direkt in die Projekte“? In diesen Fällen werden fast immer die Kosten auf einen Dritten verschoben. Mal werden die Kosten durch die Erträge einer Stiftung gedeckt, mal kommt ein Unternehmen hierfür auf oder auch eine andere verbundene Organisation. Wollen wir eine echte Preistransparenz, dann dürfen diese Verschiebungen nicht mehr möglich sein. Übernommene Kosten sind Einnahmen und müssen mit den Kosten bei den werbenden Organisationen verbucht werden.
Verantwortung der Vorstände
Was die Klage der Staatsanwälte auch klarstellt: Vorstände verantworten die Praxis im Fundraising. Es ist an der Zeit, dass Vorstände und Geschäftsführungen diese Verantwortung auch annehmen. Damit endet die Zeit, in welcher man unbedenklich die Geldbeschaffung an Dienstleister abgeben konnte; Hauptsache, die füllten die Kasse. Zukünftig müssen sich Vorstände und Geschäftsführungen sehr viel intensiver mit den Praktiken, den Möglichkeiten und Kosten des Fundraisings auseinanderselten. Sie treffen am Ende die Entscheidungen und müssen diese dann auch verantworten, notfalls auch gegenüber einem Gericht.
Und der Druck ist deutlich gewachsen. Bisher prüfte das Finanzamt nur die Gemeinnützigkeit. Wurden die Erklärungen korrekt abgegeben, drohte allenfalls der Entzug dieses Status. Manchmal war dies mit Steuernachforderungen verbunden. Das kostete allenfalls Geld und blieb der Öffentlichkeit durch das Steuergeheimnis verborgen. Eine Anklage wegen Betrugs zieht hingegen ein in aller Öffentlichkeit ausgetragenes Strafverfahren nach sich, mit allen Folgen auch für die bürgerliche Existenz der vielen ehrenamtlichen Vorstände.
Was passiert mit neuen Nonprofit-Organisationen?
Die größten Änderungen wird der Prozess bei Organisationen haben, die neu ins Fundraising starten. Sie könnten zwar ehrlicherweise kommunizieren, dass der größte Teil der Spenden in das Fundraising reinvestiert wird. Aber würden dann die Förderer trotzdem spenden? Fühlten sie sich nicht nach wie vor getäuscht, wenn mit einem Projekt geworben wird, bei dem nur die wenigsten Spenden ankommen? Zumindest der Aufbau eines Spenderstamms durch verschiedene Formen des Direktmarketings dürfte sich mit der Anklage erledigt haben. Der Betrugsvorwurf wirkt als erhebliche Zutrittsbarriere zum Fundraising.
Möglichkeiten für junge Organisationen
Damit verbleiben neu in das Fundraising startenden Organisationen im Prinzip nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie besorgen sich zunächst das notwendige Startkapital. Social Venture Capital oder sogenanntes Seed-Money gewinnen damit an Bedeutung - und damit auch die Vorstellungen reicherer Menschen vom Funktionieren der Gesellschaft. Denn Fundraising und Geldgeben haben immer auch mit Werten zu tun – und die unterscheiden sich je nachdem, welche Position man in der Gesellschaft bekleidet.
Oder die Organisationen weichen auf effizientere Methoden des Fundraisings aus. Direktmarketing mag einfach sein. Die effizienteste Methode – gerade für regionale Organisationen – ist es nicht. Die sich langsam entwickelnden Fundraisingmethoden für regionale Organisationen setzen ein deutlich höheres Engagement der Menschen innerhalb der Organisation voraus. Fundraising kann dann nicht mehr an eine Agentur abgegeben werden, sondern wird ein integraler Bestandteil im Alltag jeder Organisation.
Betrugsvorwurf als Weckruf
Damit könnte der Betrugsvorwurf am Ende doch der notwendige Weckruf im Fundraising sein. Er ist die strafandrohende Aufforderung an Vorstände und Geschäftsführungen, Fundraising endlich ernst zu nehmen und in die eigenen Geschäftsprozesse zu integrieren: Wegschauen hilft nicht länger. Und er verschafft dem Fundraising die Möglichkeit, neue Formen und Methoden zu entwickeln, die weniger kostenintensiv sind und Förderer stärker integrieren.
Dr. Kai Fischer
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Mission Based Fundraising
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